
Musik ist was Schönes. Außer, man spielt die
Maestro-Reihe von ERS Gaming Studiio - dann erfüllt sie keinen Zweck, als ihre Zuhörer zu versteinern, tot umfallen zu lassen, in ein Häufchen Asche zu verwandeln, und/oder ihnen die Seelen zu stehlen. Wirklich, wer diese Reihe konzipiert hat, muss ein Musikhasser gewesen sein. Aber sie funktioniert. Noch. ERS ist dafür berüchtigt, erfolgreiche Reihen zu Tode auszuwalzen und erfolglosere nach einem Teil einzustellen. Aber aus dem konzeptionellen Einheitsbrei, der die Wimmelbildszene bestimmt, ragen die ERS-Spiele oft als etwas Originelleres heraus - üblicherweise allerdings, weil ihre Plots so abstrus sind, dass da überhaupt kein zweiter hätte drauf kommen wollen. Aber hatten mich diese Entwickler in der letzten Zeit praktisch nur noch verärgert, war dieses Spiel, das ich mir im vergangenen Jahr als Sammleredition gekauft hatte, endlich mal wieder ein kleiner Lichtblick - auch wenn es klar ist, dass das einstige Vorzeigestudio den Anschluss an die Konkurrenz lange verloren hat.
Dabei ist die Anfangssequenz noch höchst professionell. In einer wirklich dramatischen Animation sehen wir, wie geisterhafte Schatten über einen Friedhof fliegen, ein Grab öffnen und das darin enthaltene Skelett als schöne junge Frau zum Leben erwecken - aber schnell zeigt sich, dass es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen den animierten Zwischensequenzen und dem Rest des Spiels. Nicht nur haben sie einen ganz anderen graphischen Stil, realistisch, wo die Szenen und Wimmelbilder ERS-tpisch pastellisch und verspielt sind, sie scheinen auch die einzigen Mitarbeiter, die Bewegtes programmieren können, aus dem Team abgezogen haben. Das führt zu einem seltsamen Gegensatz: untote Geister und Schatten erscheinen lebendig, während Menschen komplett statisch in der Gegend herumstehen und nicht einmal dann die Lippen bewegen, wenn sie uns mit Sprachausgabe in Nahaufnahme gezeigt werden - wobei diese Leblosigkeit gut zur Qualität der Synchronisation passt. Die Sprecher sind nämlich offenbar so sehr darauf konzentriert, möglichst akzentfreies Englisch zu sprechen anstelle ihrer russischen Muttersprache, dass für Betonung oder gar Emotionen kein Platz mehr bleibt. Wo die meisten anderen Studios auf professionelle Sprecher und Muttersprachler setzen, arbeiten ERS immer noch mit Amateuren - wollen aber trotzdem bei den Profis mitspielen.
In Sachen Handlung ist fraglich, wie viel Potenzial die
Maestro-Reihe noch hat. Man kann eben nur so-und-so-viele Menschen mittels Musik ins Grab bringen, und im vierten Teil fühlt sich das Ganze nicht mehr taufrisch an, kann aber dem Thema noch ein bisschen Neues abgewinnen. Diesmal also eine Sängerin, deren Stimme bezaubernd schön ist, aber alle, die sie hören, ihrer Seele beraubt. Dafür hat sie, das muss man ihr lassen, einen wirklich guten Pressesprecher, denn dafür, dass es offenbar keine Möglickheit gibt, ihre Auftritte unbeschadet zu überstehen, hat sie richtig gute Kritiken, und die einzige Frage, die Menschen zu beschäftigen scheint, ist, wo diese Diva plötzlich hergekommen ist. Dass sie offenbar mal in genau dieser Stadt gewohnt hat und von den Bewohnern wegen ihrer Fähiglkeiten vertrieben wurde, daran erinnert sich offenbar niemand - aber die Hintergrundgeschichte ist dermaßen konfus und widersprüchlich, lässt den Bruder der mitlerweile verstorbenen Sängerin nach Rache an der Stadtbevölkerung sinnen, nur damit sich am Ende herausstellt, dass er die Schwester selbst umgebracht hat, um sie dann wiederzuerwecken und ihre Stimme für seine finsteren Zwecke zu verwenden, die dann aber wieder darauf hinauslaufen, das Leiden der Diva rächen zu wollen … WTF?
Dabei bleibt das Motiv der Musik komplett im Hintergrund und ließe sich ersatzlos durch jedes andere abgenudelte Wimmelbildthema ersetzen - während man der
Puppen Show-Reihe lassen muss, dass sie zwar plotmäßig den Zenit schon vor Jahren hinter sich gelassen hat und nach
Return to Joyville nur noch Blödsinn produziert hat, bleiben hier die mechanischen Puppen als visueller roter Faden in immer neuenn Spielarten ein stark genuger Magnet, um die Serie am Leben zu halten.
Maestro arbeitet mit Musik, indem man Instrumente an Wände hängt, als Ornament auf beschnitzte Dosen setzt oder in Reliefe einsetzt, die dann zu unfreiwilliger Komik führen, wenn der steinerne Junge mit Hingabe in die Löcher der Querflöte bläst, aber das Mundstück ignoriert. Aber Musik ist etwas zum Hören, und ausgerechnet akustisch wird das Motiv nicht aufgegriffen. Hintergrundmusik war noch nie ERS’ größte Stärke, und auch hier bleibt nur das unmotivierte Gedudel, das uns seit dem ersten Teil der Reihe begleitet, ein paar Takete Dudeldu in Endlosschleife, nervtötender als der tödliche Gesang der Antagonistin. Dass dann das Bonusadventure der Sammleredition überhaupt nichts mehr mit Musik zu tun hat, sondern einen unmotiviert Leute enführenden Polizisten hat, der auf der Suche nach einer Spieldose mit unbekannten Fähigkeiten ist, ohne dass man jemals erfährt, was das Ding kann und warum er es haben will, macht keinen Unterschied - und es ist so egal wie der Rest des Spieles.
Das ist vor allem eines: kurz. Ich habe die Zeit nicht gestoppt, aber das Hauptspiel war mit knapp über zwanzig Szenen schnell vorbei, das Bonusspiel auch in deutlich weniger als einer Stunde vorbei. Auf insgesamt neunzehn Wimmelbilder kommt das Spiel nur deswegen, weil die meisten Bilder zweimal gespielt werden. Sie sind wie immer hübsch anzusehen, aber so unfokussiert, wie es mir schon bei
Dark Tales: Edgar Allan Poe’s The Masque of the Red Death aufgefallen war - aber immerhin, diesmal muss ich sie nicht spielen, wenn ich nicht will. ERS brauchen immer lange, um sich eine Idee von der Konkurrenz abzugucken, und bislang war das einzige Spiel von ihnen, bei denen man anstelle der Wimmelbilder einen Altrnativmodus zur auswahl hatte,
Phantasmat: Crucible Peak, weil sie da in einem weitgehend vergeblichen Versuch, dem Original gerecht zu werden, ein Drei-Gewinnt-Spiel im Angebot hatten. Sie hatten auch eine Zeitlang versucht, Adventures ganz ohne Wimmelbilder, nur mit Minispielen, zu machen, die ich durch die Bank sehr viel lieber gespielt habe als ihre Wimmelbildabenteuer, die sich aber beim Publikum offenbar nicht haben durchsetzen können. Jetzt also kann ich anstelle der Wimmelbilder ein ziemlich lasches Memory spielen, was noch dazu beiträgt, dass das Spiel so schnell vorüber ist - statt mühsam eine interaktive Wimmelbildszene, bei der nicht ersichtlich ist, was sich benutzen lässt, abzuwedeln, klicke ich mich schnell durch das immer gleichbleibende unmotivierte Memory: Dann habe ich das zumindest hinter mir.
Deutlich mehr Spaß machen da die Minispiele - sie sind zwar einfach wie nur was, bis auf eines, das prompt auch einen Einfach-Modus anbietet, um den Spielern nicht zu viel abzuverlangen - aber es sind ein paar neue Ideen dabei, die man noch nicht in hundert anderen Spielen hatte. Ich hätte gerne mehr davon gehabt, und mehr Zeit mit ihnen verbringen können: Für mich waren die Minispiele immer eine der Stärken von ERS. Aber in ein zu kurzes Spiel passen eben nur so-und-so viele Puzzles und Rätsel, und dass dazu noch diverse Variationen von »Drück die Knöpfe in der richtigen Reihenfolge« kommen, ist ein schwacher Trost. Ich mag es, wenn Spiele mir das Gefühl geben, intelligent zu sein. Ich mag es nicht, wenn sie mir das Gefühl geben, zehnmal intelligenter zu sein als die anvisierte Zielgruppe. Doch wenn wirklich knackige Rätsel schon so selten sind, dass ich sie in meinen Rezensionen als Kaufgrund hervorgeben muss, sollen die Minispiele zumindest schön sein und eine gewisse Originalität mit sich bringen: Und das tun sie. So war
Maestro: Dark Talent kurz, aber dabei wenigstens kurzweilig, und ich habe nicht zu viel Zeit damit verbringen müssen, mich zu ärgern. Bis auf ein Minispiel: Da musste ich ein Gemälde ausradieren, um die Stellen, die nicht exakt so aussahen wie in der Vorlage, neu zu malen - hey, schon mal was von künstlerischer Freiheit gehört?
Und auch um ein virtuelles Haustier, mein persöbliches Hass-Element vieler jüngerer ERS-Spiele, bin ich hier herumgekommen, wenn auch nur knapp. Ziemlich am Anfang - nachdem man mich nicht ins Theater gelassen hat, als dort die Schatten zu spuken anfingen, vorgeblich, weil ich der berühmte Detektiv bin, aber wahrscheinlicher, weil der Gartenrechen, den ich unter dem Arm hatte, meiner dem Anlass entsprechende Abendgarderobe die Eleganz nahm - stieß ich auf ein extrem schlecht animiertes unproportioniertes Wiesel, bekam den Hinweis, dass Loki gerne Äpfel mag, und ahnte das Schlimmste. Aber ich hatte Glück, das Tier nahm den Apfel, gab mir das bewachste Objekt und machte sich aus dem Staub. Noch drei oder viermal ist es mir begegnet, hat sich als Retter in der Not bewiesen und geholfen, wo es konnte - aber wenigstens musste ich es nicht mit mir rumschleppen, ihm keine Kleider oder Möbel kaufen und eine virutelle Wieselstube einrichten. Dieses ungeliebte Feature ist ersatzlos weggefallen, was bedeutet, dass die Sammleredition außer Bonusadventure, vier Stück Soundtrack und ein paar Hintrergrundbildern und Bildschirmschonern - wirklich, installiert sich irgendjemand die Dinger? - nichts zu bieten hat, und wo man in anderen Spielen kleine Symbole einsammeln muss, um dafür eine Herusforderung zu bekommen, darf man hier besessene Statuen, Brunnen oder Bäume anklicken, die man für den Fortgang der Handlung sowieso gebraucht hätte, woraufhin sie in einer kleinen Stadtansicht erscheinen. Sinn und Zweck? Wir brauchen mehr Bonusfeatures?
Dafür sammelt man etwas anderes. Ein magisches Amulett, das die Geister vertreibt, lässt sich zwar schnell wieder zusammensetzen, nachdem es versehentlich auf dem Boden zerschellt ist, aber dafür hat es die unangenehme Eigenschaft, mit jeder Anwendung einen ganzen Satz Kristalle zu verbrauchen, die in einer dramatischen Animation zu rosafarbenem Staub zerschellen. Und weil es überall von diesen Geistern wimmelt, braucht man dauernd neue Kristalle - insgesamt achtmal habe ich im Hauptspiel das Amulett nachladen müssen und war erleichtert, dass es im Bonusabenteuer nicht mehr vorkam. Aber wenigstens hatte mir der praktisch veranlagte »Knowing One«, der mir das gute Stück überlassen hat, vorher die Stadt mit Kristallen regelrecht gepflastert, so dass ich nie lang ohne war, immer abgepackt im praktischer Achterset, und manchmal, bei größeren Geisteransammlungen, braucht man gleich zwei Satz Kristalle. Aber letztlich ist auch das nur das übliche magische Amulett, mit dem man böse Geister vertreiben kann und das im Wimmelbildspiel heute so inflationär auftaucht wie im Fantasyroman der Achtziger: ein schnell abgenutzter Effekt, kein Alleinstellungsmerkmal und sicherlich kein Kaufargument. Und musste man in früheren Spielen noch verschiedene Funktionen freischalten und überlegen, welche man wann und wo brauchte, reicht es jetzt aus, einmal damit vor der Nase des Bösen herumzuwedeln, damit es sich in alle Winde zerstreut.
Für meine Sammlung unlogischer Klöpse gab es diesmal dafür wenig neues - vielleicht hätte ich bei der Kutsche, die mir im Weg stand, vorher einmal kurz anklopfen können, ob noch jemand drin sitzt, bevor ich sie mit Dynamit in die Luft sprenge, und vielleicht hätte ich aus Angst vor einer Kohlenmonoxidvergiftung den Ofen erst mal ausmachen sollen, ehe ich ein Stück aus dem Ofenrohr säge -aber wirklich, da habe ich schon Schlimmeres erlebt, insbesondere von ERS Games. Aber wird ein Spiel dadurch zu einem guten Spiel, dass es nicht ganz so schlimm ist wie andere Spiele vom gleichen Entwickler? Im Vergleich zu dem, was Firmen wie Artifex Mundi oder Eipix inzwischen als Standard vorgeben - vor allem Eipix, die routiniert Spiele auf hohem Niveau im Drei-Wochen-Takt raushauen, ist für ERS Game Studios der Zug längst abgefahren. Wer Figuren wie Standbilder platziert, so dass die im Weg herumstehenden Schurken noch nicht einmal mehr drohend grunzen können, geschweige denn den Eindruck erwecken, sie könnten mich irgendwie von meinem Ziel abhalten, wer die Synchronisation noch nicht mal von Laiendarstellern, sondern offenbar Sprachschülern, machen lässt, und Schatten lebendiger wirken lässt als Menschen, dem helfen auch keine anheimelnden Graphiken mit zartem Duktur mehr - da wurde einfach an der falschen Stelle bestraft, und so schnell, wie sich manche Game Studios in den letzten Jahren entwickelt haben, wird nichts mehr bestraft als Stillstand.
Dieses Spiel probespielen oder kaufen bei Bigfish:
Englische Fassung:
Maestro: Dark Talent Collector’s Edition /
Standard Edition
Deutsche Fassung:
Maestro: Finsteres Talent Sammleredition /
Standardedition